Neuanfang hinterm Steuer eines Busses
Neuanfang hinterm Steuer eines Busses
Marouen Ben Salah ist einer von zehn Tunesiern, die ihre Heimat verlassen haben, um in Schleswig-Holstein ihr Glück zu finden
VON ULRICH METSCHIES
KIEL. Die Welt hat gerade sehr viele bedrückende Nachrichten parat. Doch Marouen Ben Salah sagt: „Ich bin happy." Happy über seinen neuen Job in Deutschland, über das WG-Zimmer in Kiel und seine neuen Kollegen bei der Autokraft. Am 8. Dezember ist der 37-Jährige nach Kiel gereist, gemeinsam mit neun weiteren jungen Männern aus seiner Heimat in Nordafrika. Sie alle beginnen ein neues Leben: als Busfahrer in Schleswig-Holstein.
Die Aussichten, in Tunesien happy zu werden, sind nicht so groß: ein seit Jahren autoritär herrschendes Regime, hohe Arbeitslosigkeit, hohe Inflation, niedrige Löhne. Ben Salah hatte zwar Arbeit auf dem Flughafen der Touristenmetropole Sousse – als Busfahrer, beim Check-in und in der Sicherheitskontrolle. Doch rund 400 Euro im Monat sind auch nach tunesischen Maßstäben nicht gerade fürstlich.
Bei der Autokraft in Kiel starten Ben Salah und seine Kollegen mit knapp 3000 Euro brutto. Am 6. Januar beginnen die ersten Tunesier ihre knapp viermonatige Qualifikation. Alle haben schon einen Busführerschein, doch der wird in Deutschland nicht anerkannt. Und so liegt der größte Wunsch von Ben Salah für 2025 auf der Hand: „Dass ich alle Prüfungen gut bestehe." Den Gedanken, sein Glück in Deutschland zu suchen, hat er schon länger. Dann, vor einem Jahr, ergab sich die Chance, den Traum zu verwirklichen. Über ein Partnerbüro in Tunesien war Visabee auf Ben Salah aufmerksam geworden. Das junge Kieler Unternehmen ist spezialisiert darauf, Fachkräfte aus dem Ausland anzuwerben und sie auf ihrem mit bürokratischen Stolpersteinen gepflasterten Weg in die neue Zukunft eng zu begleiten – vom ersten Video-Call über die Anmeldung bei Einwohnermeldeämtern bis zu Krankenversicherung und Kontoeröffnung.
Ben Salahs Eindruck von Deutschland? „Das ist ein sehr offenes und gastfreundliches Land“ sagt er. Ja, er weiß, dass Deutschland ein Problem mit Ausländerfeindlichkeit hat: „Aber ich habe bislang nur gute Erfahrungen gemacht.“ Sein neuer Arbeitgeber hat nach langer Suche eine Wohnung gefunden, für ihn und die beiden anderen Kollegen, die im Januar bei der Autokraft-Niederlassung in Kiel anfangen. Die Arbeitsverträge sind unbefristet, und das passt sehr gut zu seinen Plänen: „Ich will für immer hier bleiben.“
Ist es denn gar nicht schwer, die Heimat zu verlassen= Ben Salah äußert keine Wehmut. Vielleicht verbirgt sich aber auch ein Hauch davon hinter der Sprachbarriere, die allerdings so groß gar nicht ist. Doch es gibt vieles, was den Neuanfang in Deutschland leichter macht. Keine Partnerin, keine Kinder, die von seiner Lebensplanung betroffen wären. „Meine Eltern finden es gut, dass ich diesen Weg gehe, vor allem meine Mutter ist sehr stolz.“ Hinzu kommt: So weit weg ist die Familie gar nicht: Ben Salahs Bruder lebt seit 2013 schon in Schleswig-Holstein. Er hat einen Job in einem Gewebebetrieb in Flensburg gefunden. Von vielen Freunden aus Tunesien weiß Marouen Ben Salah: „Die wollen unbedingt auch nach Deutschland kommen, um hier zu arbeiten.“
Dana Schulze findet das ziemlich gut. „Noch können wir alle Stellen besetzen“, sagt die Leiterin der Autokraft-Niederlassung Kiel, die auch den Busverkehr in den Kreisen Ostholstein und Rendsburg-Eckernförde betreut. „Doch ab 2026 droht eine erhebliche Lücke.“ Das Durchschnittsalter an einigen Standorten liege bei Mitte 50. Ohne Kräfte aus dem Ausland geht es ohnehin schon lange nicht mehr. Rund 560 Busfahrer und -fahrerinnen aus 42 Nationen beschäftigt die Niederlassung Kiel. Was Dana Schulze bitter findet: „Trotz des Fachkräftemangels und vieler schöner Worte gibt es in Deutschland noch immer keine einheitlichen und transparenten Strukturen für eine schnelle und reibungslose Anwerbung von Beschäftigten aus dem Ausland.“ Statt qualifizierten Menschen den roten Teppich auszurollen, erschwerten die Behörden die Zuwanderung durch einen Wust zäher Bürokratie. „Ohne die engagierten Dienstleister wäre das alles nicht machbar gewesen.“
Auch Marouen Ben Salah wäre gerne schon früher in Kiel angekommen. Doch das Warten ist längst vergessen. Für ein Foto setzt er sich ans Lenkrad, den Blick zuversichtlich nach vorn gerichtet. Nicht mehr lange, und er wird mit so einem Bus durchs Land fahren. 2025 kann kommen.